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«Im Internet zu publizieren, war vor 15 Jahren noch aufregend.»

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Der «Medienspiegel» war eines der wenigen Medienblogs der Schweiz und am Ende jenes, das am längsten durchgehalten hat. Seit Dezember ist aber auch hier Schluss. Martin Hitz (58) mag nicht mehr. 15 Jahre lang begleitete er bloggenderweise den Medienwandel in der Schweiz und regte so mitunter zu epischen Kommentar-Debatten an. Den zahlreichen Gastautorinnen und -autoren dürften nicht zuletzt die Bündner Nusstorten in guter Erinnerung bleiben, mit denen Hitz ihre Kolumnen honorierte.

Medienwoche:

Du hast deinen Blog «Medienspiegel» nach 15 Jahren endgültig eingestellt. Was überwiegt zwei Monate nach dem letzten Posting, Wehmut oder Erleichterung?

Martin Hitz:

Ich kann nun das sagen, was alle sagen würden: beides. Die Wehmut ist aber schon sehr gross. Ich spüre den Trennungsschmerz, schliesslich fiel mir der Entscheid nicht leicht.

Medienwoche:

In den letzten Jahren hast du kaum mehr neue Beiträge gepostet. Warum hast du nicht schon früher den Stecker gezogen?

Martin Hitz:

Weil ich immer gedacht habe, dass es mir den Ärmel doch wieder reinzieht und ich noch einmal in Fahrt komme. Vielleicht kommt die Lust wieder, habe ich gehofft. Denn im Endeffekt war es nur eine Frage der Lust.

Medienwoche:

Was hat dich so lange dabei gehalten?

Martin Hitz:

Es waren die Debatten, die zum Teil extrem gehaltvoll waren. Das war ja mein einziger Lohn, ausser einmal ein zwei, dreitausend Franken für ein paar Werbebanner. Und dann kamen natürlich Twitter und Facebook und die Diskussionen verlagerten sich vermehrt auf Social Media. Irgendwann zerfledderte das Ganze.

«Das einschneidendste Ereignis, das letztlich auch dazu führte, dass ich nun aufgehört habe, war sicher der Tod von Kurt Imhof.»

Medienwoche:

Ab wann ging es bergab?

Martin Hitz:

Das einschneidendste Ereignis, das letztlich auch dazu führte, dass ich nun aufgehört habe, war sicher der Tod von Kurt Imhof. Er hat immer wieder Debatten angerissen mit seiner pointierten und prägnanten und auch provokativen Art. Kurt Imhof tauchte irgendwann mal mit Kommentaren zu den Blogeinträgen auf. Wir haben uns dann auch per E-Mail ausgetauscht und trafen uns an Branchenanlässen. Aber ich war nicht mit ihm befreundet oder hätte ihn sonst gut gekannt.

Medienwoche:

Der erste Eintrag im «Medienspiegel» datiert vom November 2001. Es ist ein kurzer Hinweis auf einen Artikel über Werbeeinnahmen von Online-Medien, die weit unter den Erwartungen liegen, den du für die NZZ geschrieben hast…

Martin Hitz:

…und den man auch heute noch jeden Tag schreiben könnte.

Medienwoche:

War es auch dieses Ewiggleiche, das dich irgendwann gelangweilt hat?

Martin Hitz:

Das ist extrem der Fall. Immer wieder die gleichen Meldungen von Stellenabbau bei gleichzeitiger Versicherung der Verlage, die Qualität werde gehalten. Blablabla. Irgendwann hat man einfach genug davon. Ich wollte auch nicht zum Grumpy Old Man werden, der immer das Gleiche kritisiert. Immer nur schimpfen geht ja auch nicht.

Medienwoche:

Als du mit dem «Medienspiegel» gestartet bist, was hattest du dir damals vorgenommen?

Martin Hitz:

Gar nichts. Ich habe ja nicht einmal richtig gewusst, was ein Blog ist und was man damit alles anstellen kann. Im April 2003 habe ich für die NZZ einen Artikel geschrieben über Warblogs, mit denen damals Freelancer aus dem Irak-Krieg berichteten. Da dachte ich, dass ich das auch ausprobieren will. Im gleichen Jahr habe ich auch noch einen Artikel über Stellenabbau in den Schweizer Medien geschrieben und da fand ich, wenn man die Journalisten schon immer dafür kritisiert, dass sie ein Thema nicht mehr weiterverfolgen, sobald sie den Artikel dazu veröffentlicht haben, dann will ich das anders machen. So habe ich fortan eigene Artikel und danach Meldungen aus anderen Medien zum gleichen Thema gepostet. Das war damals die Grundidee, dass ich meine Artikel perpetuiere.

Medienwoche:

Kommentare gab es anfänglich kaum. Wieso hat dein Publikum dann plötzlich mitzureden begonnen?

Martin Hitz:

Keine Ahnung. 2003 wussten auch noch nicht viele Leute, was ein Blog ist, und auch auf den Medienwebseiten konnte man ja noch nicht kommentieren. Da gab es also noch gar keine Kommentarkultur.

Medienwoche:

Leidenschaftlich gestritten wurde bei dir über das Selbstverständnis der Blogger.

Martin Hitz:

Genau. Sind Blogger die besseren Journalisten? Die Debatte hat mich nie gross gekümmert. So wie ich gebloggt habe, sah ich mich auch gar nie als Journalist – abgesehen von der Rolle als Informationsvermittler, für die auch mein Herz schlägt. Ich habe mich erst in den letzten Jahren getraut, meine Meinung zu äussern und etwas zu kritisieren.

«Ich war nah dran, die Kommentare zu schliessen. Aber das Diskussionsklima hat sich nach ein paar Jahren wieder beruhigt.»

Medienwoche:

Eine besondere Rolle spielte in diesen epischen Debatten ein damals unbekannter Journalist, der unter dem Pseudonym Bobby California auftrat. In all den Jahren trat er stets wortreich und angriffig für die Sache des professionellen Journalismus ein und verteidigte ihn gegen das Amateurwesen der Blogger. War der hyperaktive Stammgast eine Bereicherung oder eine Belastung?

Martin Hitz:

Für mich war es eher eine Belastung. Den Tiefpunkt erreichten die Streitereien als die gegenseitigen Angriffe persönlich wurden und der eine dem anderen Alkoholismus vorwarf. Damals habe ich auch hintenrum moderiert und den Beteiligten E-Mails geschickt und sie zur Mässigung aufgefordert. Ich war nah dran, die Kommentare zu schliessen. Aber das Diskussionsklima hat sich nach ein paar Jahren wieder beruhigt. Am Anfang war ich beeindruckt. Er konnte gut und schnell schreiben. Wenn ich etwas gepostet habe, ging es nicht lange, bis Bobby California, zwei, drei druckreife Absätze formuliert hatte.

Medienwoche:

Also doch auch eine Bereicherung?

Martin Hitz:

Am Anfang auf jeden Fall. Aber mit der Zeit haben sich seine Positionen verhärtet und entsprechend reagierten auch seine Kontrahenten.

Medienwoche:

Selbst hast du dich nur eingemischt, um Leute zur Mässigung zu ermahnen. Warum?

Martin Hitz:

Ich weiss ja, was ich denke und fand es spannender zu lesen, was die anderen schreiben.

«Ich habe nicht so das Bedürfnis, eine Meinung zu verbreiten. Darum bin ich wahrscheinlich auch nie Journalist geworden.»

Medienwoche:

Dafür stehen Journalisten in der Kritik, dass sie selbst nicht mitkommentieren unter ihren Artikeln.

Martin Hitz:

Ich habe nicht so das Bedürfnis, eine Meinung zu verbreiten. Darum bin ich wahrscheinlich auch nie Journalist geworden. Als Moderator und Informationsvermittler sah ich mich.

Medienwoche:

Irgendwann gingen die Kommentare spürbar zurück.

Martin Hitz:

Ich bin ziemlich sicher, dass das mit dem Aufkommen von Twitter und Facebook zu tun hat. Die Zahl der Nutzer hat nicht nachgelassen und ist konstant bei 4-500 User pro Tag geblieben. Darum habe ich auch nie ein Business-Model gesehen für den «Medienspiegel».

Medienwoche:

Hast du mal ein Übernahmeangebot erhalten?

Martin Hitz:

Ich wäre nicht völlig überrascht gewesen, aber es ist nie etwas gekommen. Wobei: Ursula Klein vom Kleinreport hat einmal gesagt, nachdem sie mich wegen einer ganz anderen Sache am Telefon heftig getadelt hatte, ich solle mich dann bei ihr melden, bevor ich den Blog einstelle. Das war eigentlich das einzige «Angebot».

Medienwoche:

Zu deinem Abschiedsposting gab es gerade noch drei Kommentare. Hat man dich vergessen?

Martin Hitz:

Ich habe nicht mit mehr gerechnet. Auf Twitter bedauerten noch vier Leute die Einstellung. Und ein paar E-Mails habe ich auch gekriegt. Ich habe nicht mehr verdient. Die letzten anderthalb Jahre lief ja eigentlich schon nichts mehr.

«Es ist halt schon ernüchternd, wenn heute über Sachen geredet wird, die man schon vor 20 Jahren diskutiert hat und keinen Schritt weiter gekommen ist.»

Medienwoche:

Auf Twitter bist du als @medienspiegler weiterhin präsent. Und obwohl du vorhin gesagt hast, du wolltest nicht als Grumpy Old Man wahrgenommen werden, habe ich diesen Eindruck bei deinen Tweets.

Martin Hitz:

Das stimmt. Auf Twitter giftle ich gerne manchmal. Aber selten, hoffe ich. Es ist halt schon ernüchternd, wenn heute über Sachen geredet wird, die man schon vor 20 Jahren diskutiert hat und keinen Schritt weiter gekommen ist. Das sind aber nicht Hass- oder Wut-Tweets, sondern mehr Frust-Tweets…

Medienwoche:

…aus denen auch deine Erfahrung spricht als ehemaliger Chef von NZZ Online, wo du von 1997 bis 2001 gearbeitet hast. Warum war das die einzige Station in er Leitung von Online-Medien?

Martin Hitz:

Ich habe irgendwann gemerkt, dass es too much wurde und ich musste bremsen. Als ich dann aufgehört hatte, wollte ich natürlich nicht gleich wieder einen ähnlichen Job. Zunächst dachte ich, als freier Medienjournalist arbeiten zu können. Für die Medienseite der NZZ schrieb ich ab und zu ein paar Artikel. Aber das war mir auch klar, dass das nichts wird.

Medienwoche:

Was blieb dir dann noch?

Martin Hitz:

Ich habe zunächst freiberuflich als Consultant für Online-Projekte gearbeitet, konnte aber das Pensum reduzieren, weil meine Frau ihres gerade erhöht hatte. So 2003/2004 muss es gewesen sein als ich bei Stephan Russ-Mohl an der Uni Lugano beim Aufbau des European Journalism Observatory EJO mithalf. Ich habe dort das Konzept für die Website entwickelt und auch Artikel redigiert und übersetzt.

Medienwoche:

Du hast ja Publizistikwissenschaften studiert.

Martin Hitz:

Im Hauptfach Sinologie und im Nebenfach Publizistik. Ich war aber schon immer sehr medieninteressiert.

Medienwoche:

China und Medien: Gab es da nie eine berufliche Perspektive?

Martin Hitz:

1987 suchte ich tatsächlich nach Jobs in China. Damals ging der Markt für ausländische Arbeitskräfte erst gerade auf. Ich wäre aber im Einkauf oder Verkauf gelandet und nicht in den Medien. Für eine Handelsfirma hätte ich in China Tierhaare einkaufen können für Pinsel und Bürsten. Für eine andere Firma hätte ich in China Orangensaftkonzentrat verkaufen können.

Medienwoche:

Das ist doch ziemlich medienfern…

Martin Hitz:

Etwas später, 1988/89, arbeitete ich dann in Hongkong zusammen mit meiner Frau beim «Billion»-Magazin. Das war ein Joint-Venture von Ringier und einem lokalen Verlag. Unser Jobprofil lautete: Researcher Librarian. Hier würde das Dokumentalist heissen. Fact-Checking gehörte aber auch dazu. Unser Chefredaktor war zuvor beim «Fortune»-Magazin in den USA, wo die Fact-Checking-Kultur schon sehr ausgeprägt war. Unsere Rolle ging so weit, dass die Journalisten die Recherche von Zahlen und Fakten komplett uns überliessen und am Schluss zum Beispiel nur noch schrieben, «Das Bruttosozialprodukt wuchs um xx Prozent». Wobei wir dann den korrekten Wert recherchieren und einfügen mussten.

«Wenn du den Leuten kein Honorar zahlst, ausser einer Bündner Nusstorte pro Jahr als Dankeschön, dann ist das schon etwas unangenehm.»

Medienwoche:

Zurück zum «Medienspiegel». Fast zehn Jahre lang schrieben bekannte Autorinnen und Autoren für die Kolumne «Mediensatz». Wie fanden die zu dir?

Martin Hitz:

Ich habe all meinen Mut zusammengenommen und die Leute einfach angefragt. Aber die Autorenpflege war schon auch anspruchsvoll. Am «Mediensatz» hatte ich grosse Freude, das gab dem Blog etwas Fleisch an den Knochen und ein bisschen Qualität und Image-Transfer mit den bekannten Namen. Aber wenn du den Leuten kein Honorar zahlst, ausser einer Bündner Nusstorte pro Jahr als Dankeschön, dann ist das schon etwas unangenehm. Ich hatte ja auch keine Druckmöglichkeiten in der Hand.

Medienwoche:

Beruflich bleibst du der Medienbranche erhalten. Zuletzt hast du zusammen mit deiner Frau die Website der Gewerkschaftszeitung «Work» neu konzipiert und umgesetzt.

Martin Hitz:

Medien sind schon das, wofür mein Herz schlägt. Ich wüsste nicht, wofür sonst.

Medienwoche:

Und du vermisst nicht, dass du nicht mehr intervenieren kannst?

Martin Hitz:

Ich habe ja noch Twitter und wenn ich wollte, könnte ich jederzeit wieder weiterfahren mit dem «Medienspiegel».

Medienwoche:

Was nun?!

Martin Hitz:

Ich habe das natürlich nicht vor. Aber ich lasse die Seite stehen und schliesse einfach die Kommentarmöglichkeit. Ich habe nicht vor, wieder anzufangen. Ich brauche auch den Kick nicht mehr. Im Internet zu publizieren, war vor 15 Jahren noch aufregend. Heute ist das ja total normal.


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